ANTHRAX / PRONG / AFTER ALL

18.06.2003, München, New Backstage


Grundgütiger, was machen ANTHRAX ein Faß auf! Aber von vorne: Aufwärmer des mächtig lauten Abends waren AFTER ALL (ein Widerspruch in sich?), die ihr aktuelles Album "Mercury Rising" (man beachte die Analogie zur neuen PRONG) präsentierten. Das taten sie auch durchaus ambitioniert, doch insbesondere der Mann am Mikro, der mich ein wenig an den Sänger von G/Z/R erinnerte, wirkte doch eher wie Kellercombo statt Welttournee. Er wusste in seinen Gesangspausen einfach kaum was anzufangen mit sich auf der Bühne, und Manowareske Ansagen über die Ewigkeit des Metal sind nicht gerade der Weisheit und Kreativität letzter Schluß, oder? Das mochte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mucke, die in besten Momenten an Nevermore erinnerte, Publikum und Musikern gut Spaß machte.

Am Auftritt der Groovemetaller PRONG gab es dann eine Menge Kritikpunkte: der Dampfwalzensound ließ sämtliche Feinheiten wie Melodien im Bassgedröhne untergehen, aber dafür kann ja die Band nichts. Wohl aber dafür, dass sie sich großkotzig selbst feiern und das Publikum bei jeder Gelegenheit dazu auffordern, ihnen mächtig zuzujubeln. Memento mori, Tommy Victor! Sympathien erwirbt man so keine, zumal sein schon auf Platte recht beschränktes sängerisches Vermögen live auch kaum zu begeistern vermag. Trotzdem waren Prong geil, denn an der Klasse von Songs wie "Unconditional", "Beg To Differ", "Only A Test" und den Knallern "Whose Fist Is This Anyway" und natürlich"Snap Your Fingers, Snap Your Neck" gibt es nun mal nichts zu rütteln. Auch die beiden neuen Songs "Embrace The Depth" und "" halten das Niveau und entsprechend wird die Tommy Victor Band gefeiert wie verlorene Söhne, die Fans rocken ab und jubeln viel - zu Zugaberufen will sich dann aber auch niemand hinreissen lassen.

ANTHRAX zeigen im Anschluss daran, wie man alles, aber auch alles richtig macht. Auf die Bühne stürmen und dem Fan erstmal mit "What Doesnīt Die" und "Superhero" zwei ordentliche Klopfer vom neuen Album um die Löffel gedroschen, damit er wach wird und die Ohren frei sind, dann mit dem kongenialen Joe Jackson Cover "Got The Time" den Zappeltrieb ausgelöst und darauf dann mit dem Klassiker "Caught In A Mosh" pfundig den kollektiven Watschentanz-Reigen eingeläutet - so muss ein Metal-Konzert aussehen, dann klappts auch mit der Stimmung. ANTHRAX lassen sich nämlich nicht von den Fans feiern, sondern feiern eine Party MIT ihnen. Dabei scheint es, als ob die Männer auf der Bühne noch viel mehr Spaß haben als die eh schon aufgedrehten Fans - und es wurde gehüpft, gemosht, gepogt, gerempelt und gebangt bis gut 20 Meter von der Bühne weg, Hammer! - davor. Insbesondere Frank Bello, der lockenköpfige Basslulatsch, kann keine Sekunde stillstehen, stürmt von einem Eck ins andere, singt nebenbei unglaublich fit die Zweitstimme, dass sogar der sonstige Aktivposten Scott Ian fast schon ruhig und konzentriert wirkt dagegen. Der Glatzkopf, dessen rot-schwarz-roter Bart heute aussieht "als hätte er ein Fähnlein-Fieselschweif-Käppi um den Hals gebunden", wie meine Begleitung grinsend bemerkt, war aber dennoch 100% bei der Sache, ebenso Neuzugang und Locken-Iro Rob Caggiano, der mit allen Kräften versuchte, mit den anderen Energiebündeln gleichzuziehen. Charlie Benante am Schlagzeug ist ohnehin über jede Kritik erhaben und John Bush - naja, der ist wenigstens mal ein Amerikaner namens Bush, dem man geil finden kann! Diese Stimme, so kraftvoll und energiegeladen und dann doch wieder so emotional, sucht ihresgleichen, dazu spielt er mit dem Publikum in den Ansagen, es frisst ihm geradezu aus der Hand, als er die Story vom Pferd erzählt, dass München ja ohnehin die Stadt wäre, in der sie am liebsten spielen, weil die Fans hier so abgehen - und man glaubt es ihm, auch wenn er das sicher jeden Abend über die jeweilige Stadt sagt. Die Songauswahl ließ auch kaum Wünsche offen. Klar, Kaspereien wie "Bring The Noise" und "Iīm The Man" sind inzwischen wirklich alte Hüte, wenn man bedenkt, wie diese Stücke damals als Vorreiter der Rap-Metal-Crossover-Welle durchstarteten, die inzwischen aber auch toter als tot ist und längst vom New-Metal-Hype abgelöst wurde. Aber von ganz alten Klamotten wie "Metal Thrashing Mad" oder "Madhouse" über Stampfer wie "N.F.L. (Evilnikufesin)" und dem abschließenden "Indians" bis hin zu neueren Granaten wie "Only" (okay, nicht mehr sooo neu...), dem unglaublich krachigen "Crush" oder der eingängigen neuen Single "Safe Home" (schon mal mitgekriegt, dass das alles Lovesongs sind?) und "Nobody Knows Anything" - für jeden war etwas dabei und zwei unglaublich intensive Stunden waren viel zu schnell vorüber. Danke ANTHRAX!

mono

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Es gibt Bands, deren Qualitäten man zwar durchaus schätzt, die man aber trotzdem nie ins Abendgebet einschließt, weil sie wohl eine Menge guter Alben, aber kaum einmal den absoluten Kracher veröffentlicht haben. Zu dieser Kategorie zählten für den Verfasser bis dato ANTHRAX: lediglich eine richtige Killer-Scheibe, nämlich "Spreading The Disease" (darin gehe ich nur allzu gerne mit dem geschätzten Redaktionskollegen Herbert konform), ansonsten zwar gelungene Alben zuhauf, die aber jeweils nur einige wenige echte Knaller enthielten. Allerdings ergibt auch dies in der Summe einen enormen Fundus an angehenden Klassikern bzw. bereits in diesen Stand erhobenen Songs, ergo konnte ich mich dann doch mal dazu durchringen, mir die Ostküsten-Thrasher live on stage zu geben. Zumal auch das Vorprogramm, namentlich in Form von PRONG, alles andere als von Pappe war.

Hui, lange Vorrede, da müssen wir den Bericht über den Opener, AFTER ALL aus Belgien, entsprechend kürzen. Fällt mir aber nicht schwer, denn ich hab sie nicht gesehen. Ob ich dabei was verpasst hab? Kann ich irgendwie schlecht beurteilen.

Kleine Anmerkung an dieser Stelle: obwohl durchaus als Stammgast -zumindest bei Konzerten- des alten Backstage zu bezeichnen, schaffte es der Autor am Vorabend von Happy Cadaver nach gut einem Jahr des Bestehens erstmals, im New Backstage aufzulaufen. Reife Leistung, oder? Man wird halt nicht jünger, harrharr.

Und wo wir schon beim Thema Backstage, Version 2.0, sind: Der Laden erreicht punktgenau den Charme seines Vorgängers, ist lediglich etwas größer und logischerweise moderner und verfügt im übrigen offensichtlich nach wie vor über das selbe, enorm begeisterungsfähige Stammpublikum wie das Ur-Backstage.

Was sich auch bei den Hardcore-meets-Metal-und-plaudert-dabei-mit-Industrial-und-Elektro-über-Noise-Experimente-Protagonisten (geile Stilbeschreibung, was?) von PRONG deutlich bemerkbar machte: Trotz etwas verhaltenen Beginns hatten Tommy Victor & Co. die ca. 600 Nasen starke Meute von Anfang an fest im Griff und ließen sich ausgiebig feiern. Verdientermaßen, denn die Band gehört zu den stilprägendsten Truppen der späten Achtziger und frühen Neunziger, das steht ganz unzweifelhaft fest.

Und spätestens, als nach ca. einer Viertelstunde der Über-Track 'Beg To Differ' erscholl, war das Publikum kaum noch zu halten, zumal sich die New Yorker mit zunehmendem Verlauf ihres Auftritts in einen wahren Rausch spielten, Tommy Victors charismatischer Gesang peu á peu eine Durchschlagskraft wie in alten Tagen erreichte und die ganz großen Kracher erst noch kamen: Knüller wie 'Snap Your Fingers, Snap Your Neck' oder 'Whose Fist Is This Anyway?' verwandelten das Auditorium -nicht zuletzt dank der extrem tighten Intonierung, wobei vor allem das roboterpräzise Dampfhammer-Drumming zu begeistern wusste- endgültig in ein Tollhaus. 50 Minuten ganz großer Krach von einer Band, die an diesem Tage Pi mal Daumen wie eine Mischung aus OOMPH! und PRO-PAIN daher kam und deren Comeback -hierfür sprach auch die Qualität der an diesem Abend vorgestellten neuen Songs- ein reinrassiger Siegeszug zu werden verspricht.

Kurzer Ausflug in den schnuckeligen Nacht-Biergarten des Backstage, die jeweils arg strapazierten Lungen -fleißig Rauchen und dabei Grölen strengt an- und Ohren -laut, laut, laut- entspannen und über der Frage brüten, warum PRONG auf 'Prove You Wrong' verzichtet haben und dann zurück, denn der Headliner des Abends ließ so lange nicht auf sich warten: ANTHRAX rockten das Haus. Und wie sie das taten, denn schon der Einstieg mit dem Brecher 'What Doesnīt Die', der Midtempo-Nummer 'Superhero' und dem unverwüstlichen "Persistence Of Time"-Mitgrölklassiker 'Got The Time' war ein Paradebeispiel für den außergewöhnlich variablen Stil der Band und ihre nach wie vor bestechende Spielfreude; unweigerliche Konsequenz war eine begeistert moshende Zuschauermenge, welche das Quintett wiederum zusätzlich anspornte.

Die Herren Bello und Ian posten, kasperten und zappelten in ihrem Alter völlig unangemessener Manier -gut so!- herum, der sträflich unterbewertete Ausnahme-Schlagwerker Charlie Benante trommelte wie ein Berserker und der außergewöhnlich charismatische Weltklasse-Frontmann John Bush verblüffte nicht nur mit seinem schier unverwüstlichen Organ, sondern wickelte die Fans zudem noch mit seinem ganz speziellen Charme um den Finger. Lediglich Neu-Klampfer und ROBBIE WILLIAMS-Lookalike Rob Cannigiano hielt sich ein bisschen zurück und konzentrierte sich darauf, die gewiss nicht unkomplizierten Parts seines Vorgängers Dan Spitz möglichst originalgetreu wiederzugeben.

An dieser Stelle ersparen wir uns langatmige Ausführungen und halten fest: Laut warīs, gut sounden tatīs und ein bisschen leuchten und blinken auch, große Showelemente waren ohnehin nicht vonnöten in einer 95-minütigen Tour de Force, die den Bogen von den ganz alten ('Metal Thrashing Mad', 'Madhouse') über die gut abgehangenen (u.A. 'Among The Living,' 'Caught In A Mosh', 'N.F.L.') bis hin zu den neu(er)en Songs (z.B. 'Safe Home', 'Nobody Knows Anything', 'Only') spannte und in 'Bring The Noise'/ 'Iīm The Man' / 'Indians' ein krachendes Finale fand.

In toto: grandios! Offen gestanden, hätte ich nicht erwartet, daß die New Yorker nach sovielen Jahren im -für sie mittlerweile deutlich schlechter laufenden- Geschäft mit derart ungebremstem Engagement bei der Sache sind. Und extra für den geschätzten Kollegen Peter: das liegt sicher nur an John Bush *g*

Bleibt die Frage, ob man Scott 'Not' Ian nun, speziell nach seinen Lobes- und Dankeshymnen an das Publikum, seine Ende der Achtziger getätigte Aussage nachsehen kann, wonach die deutschen Fans sinngemäß zu blöd seien, um die Texte der Band zu verstehen und deswegen bei ihm nicht hoch im Kurs stünden. Naja, wollen wir mal ein Auge zudrücken und nicht länger nachtragend sein, vermutlich brauchte Scottie, jung wie er damals noch war, einfach das Geld ;-)

Fazit: PRONG sind wieder da (und wie!), ANTHRAX haben bei mir deutlich an Boden gewonnen und das New Backstage ist genauso cooltig wie sein Vorgänger. Mahlzeit!

Rainer Raithel

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